Wenn sich Paare eine stabile und erfüllende Liebesbeziehung wünschen, dann gehört das Erlernen der Kunst, mit Konflikten und den dazugehörigen Emotionen umzugehen, dazu.

Eine gesunde, solide Beziehung erkennen wir an der Fähigkeit und Bereitschaft beider Partner, Konflikte nicht zu vermeiden und zu wissen, wie sie damit umgehen.

Gerade unsere Nächsten, wie der Partner oder Familienangehörige, fordern uns heraus. Es ist oft leichter, einem Fremden unsere Ansichten mitzuteilen, als einem geliebten Menschen eine schmerzliche Wahrheit zu sagen, die ihn triggern könnte.

Es ist nicht immer leicht, Bedürfnisse auszudrücken, Unzufriedenheiten mitzuteilen, Verletzungen zuzugeben und Befindlichkeiten darzulegen.

Das ist mir auch so ergangen. Da meine Mutter Konflikte vor uns Kindern verbergen wollte, lernte ich, dass eine «gesunde Beziehung» Konflikte vermeidet.

Es war jedoch so, dass von Zeit zu Zeit emotionale Ausbrüche, Ärger und Streit passiert sind, die ich nicht mehr einsortieren konnte. Ich habe mir Mühe gegeben, alles richtig zu machen. Und dann kamen die Momente, wo ich angeschrien und ihre Hand oder einen Holzschuh zu spüren bekam.

Die Folgen dieser Erfahrungen habe ich immer wieder in meiner eigenen Partnerschaft bemerkt. Ich habe lange versucht, keinen Streit zu provozieren. Ich wollte nett und freundlich sein. Ich hielt meine Wahrheit zurück. War mit meinen Aussagen vorsichtig. Ich wollte alles in meiner Macht Stehende tun, um Spannungen zu vermeiden.

Und dann musste ich ansehen, wie plötzlich bei kleinen alltäglichen Dingen ein Streit ausbrach. Entweder wurde ich ärgerlich oder mein Partner. Der Versuch, die Dinge verbal zu klären, scheiterten. Stellenweise wurde es dadurch noch heftiger.

Ich erinnere mich, wie ich manchmal fassungslos dastand und nicht verstehen konnte, wie wir beide an diesem Ort gelandet sind.

Was ich damals nicht verstand, war die Tatsache, dass ich Angst vor Konflikten hatte. Ich hatte schlichtweg nicht gelernt, dass ein Streit auch konstruktiv und gesund sein kann.

Die Wurzel jeder Konfliktvermeidung ist, dass wir eine mangelnde Fähigkeit und Bereitschaft haben, Schmerz zu empfinden.

Woher sollte ich das wissen?

Inzwischen weiss ich, dass wir bewusst lernen können, unsere Gefühle voll und ganz zu spüren, sie nicht zu verurteilen, sondern in der Partnerschaft auszudrücken.

Es ist verständlich, dass wir eine andere Person nicht verletzten oder verärgern möchten. In Wirklichkeit sind wir nicht in der Lage zu sehen, wie es uns geht, wenn beide Wahrheiten der Partner ihre Berechtigung erhalten.

Je häufiger ein Paar verletzend miteinander streitet, oder vermeidet, Konflikte zu bewältigen, desto grösser wird die Gefahr, dass die Partnerschaft irgendwann zerbricht.

Gerade jetzt, in herausfordernden Zeiten von Corona, wo wir den Druck von aussen spüren und wir es mit Emotionen zu tun haben, die sich nicht einfach unterdrücken oder bändigen lassen, kann Vieles hochkommen.

Als Paar merkt ihr das daran, wenn die Stimmung gespannt ist und Unausgesprochenes in der Luft hängt.

Vielleicht spürt einer von euch, dass es wichtig wäre, etwas anzusprechen, aber weiss nicht, wie dies geht, ohne dass es Konsequenzen nach sich zieht.

Die Situation, in der wir uns gerade befinden, berührt nicht nur die momentane Unsicherheit, sondern verstärkt Themen, die allenfalls schon länger schwelen und nicht geklärt wurden.

Ich erlebe das in meiner Arbeit recht häufig. Einige Paare haben es nicht gelernt, miteinander Konflikte so zu lösen, dass sie ohne gegenseitige Verletzungen ablaufen. Oft sind es ähnliche Konflikte, die sich abspielen.

Das sieht so aus, dass ein Partner unzufrieden ist und versucht, dem anderen klar zu machen, was anders sein sollte. Dieser hört sich an, was der eine meint, fühlt sich aber angegriffen und kritisiert. Entweder verteidigt er sich, oder er zieht sich zurück. Nach ein paar Stunden oder Tagen kommt er aus dieser Missstimmung wieder heraus. Auch der Partner, der versucht hat, sich Gehör zu verschaffen, fühlt sich ebenso wenig gesehen und respektiert.

So entsteht ein Graben. Jedes Mal wird diese Situation auf einem unsichtbaren Konto verbucht.

Wenn wir Konflikten ausweichen, darüber schlafen wollen, dann nie wieder darauf zu sprechen kommen oder sie einfach unter den Teppich kehren, dann wird der Scherbenhaufen grösser.

Er wird sich bis zu dem Tag aufbauen, an dem all die unterdrückten Dinge aufbrechen. Leider verursacht dies oft viel mehr Schmerz und Schaden, als wenn wir von Anfang an einander die Wahrheit gesagt hätten. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie es einem Paar im Laufe der Zeit miteinander geht.

In stressvollen Zeiten brechen nun manche dieser Konflikte auf, die nicht gelöst werden konnten. Gereiztheit, Ungeduld oder Oberflächlichkeit sind die Folge. Schlimmstenfalls geht es unter die Gürtelline. Schimpfwörter, die einem rausrutschen, laut werden oder gar der Impuls, Türen zu knallen oder Gegenstände in die Hand zu nehmen.

Spätestens jetzt solltet ihr als Paar handeln.

Nur wenige von uns haben gelernt, wie man einen Streit erfolgreich klärt. Es ist nicht einfach, aber machbar!

Geht es jetzt an.

Ich zeige euch ein probates Handwerkszeug, wie ihr kleine oder grössere Spannungen auffangen könnt. Es dient dazu, einander anzuhalten, euch abzukühlen und bereit zu sein, euch wieder anzunähern.

Beginnt in kleinen, kurzen Schritten. Der Weg besteht darin, für die ganze Bandbreite der Emotionen präsent zu bleiben.  Der eigenen Befindlichkeit muss nicht mehr ausgewichen werden.

Wenn ihr als Paar Beziehungskonflikte klären und eine Streitkultur erlernt, seid ihr anpassungsfähiger, flexibler und beweglicher. Konflikte werden zu einem Ort der Entwicklung eurer Partnerschaft. Diese wird nicht nur länger halten, sie wird sich vertiefen und festigen.

Was könnt ihr als Paar unmittelbar tun, wenn es zu einem Streit gekommen ist?

Nehmt zuerst den Druck heraus, während einem Streit oder einer Krise alle Probleme klären zu wollen. Das ist überfordernd. Im Vordergrund soll die Verbindung im JETZT mit deinem Partner stehen und diese zu stärken! Hier sind zwei erste Schritte, wie ihr anders miteinander kommunizieren könnt.

1. Schritt: Gönnt euch eine kurze Auszeit

Erfahrungsgemäss ist es für die meisten Menschen nicht einfach möglich, den Schalter in einem Streit umzulegen. Aus diesem Grund sollt ihr euch während dem Streit, oder unmittelbar danach, für einen Moment eine kurze Auszeit gönnen. Dies kann bedeuten, sich ein paar Minuten oder ca. eine Stunde zurückzuziehen. Je nachdem, wie intensiv die Emotionen berührt wurden.

Vereinbart eine Zeit, wann ihr euch wieder treffen werdet.

2. Schritt: Das Mini-Check-In

Was ist ein Mini-Check-In? Ein Mini-Check-In ist die kürzeste Kommunikations-Form, die ich kenne. Sie ist wirklich kurz, denn wir sprechen hier von 1 Minute für jeden. Das Setting: Als Paar sitzt ihr ungestört voreinander und schaut euch an.

Wenn beide bereit sind, stellt ein Partner folgende Frage:

«Was bewegt mich im Moment?»

Der Partner, der sein Mini-Check-In macht, achtet darauf, dass er während dieser 1 Minute nur von sichselbst sprichst, z.B.

«Ich habe grosse Sorgen um unsere Finanzen!»

«Ich fühle mich von dir zu wenig unterstützt!»

«Ich habe Angst, mich irgendwo anzustecken!»

«Ich fühle mich unsicher, ob wir unsere Kinder genügend geschützt haben!»

«Ich bin in unserer Partnerschaft, damit überfordert, weil wir nicht gut miteinander sprechen können!»

«Ich empfinde es als grosse Belastung, einkaufen zu gehen. Ich überlege, ob wir jemand fragen können, uns dabei zu helfen!»

«Wenn du so viel arbeitest, dann fühle ich mich oft allein gelassen!»

Nach 1 Minute sagt der zuhörende Partner: Danke, dass du dies mit mir geteilt hast.

Dann gibt es einen Wechsel.

Diskutiert vor dem Wechsel aber auch nicht anschliessend über das Gesprochene.

Ganz wichtig:
Während der eine spricht, wird er nicht unterbrochen, selbst wenn der andere überhaupt nicht einverstanden ist. Nach dem Wechsel gibt der Zweite nicht einfach Antworten auf das, was er gehört hat. Er spricht von sich und wo er steht.

Das Mini-Check-In dient nicht dazu, dem anderen endlich um die Ohren zu hauen, was dir nicht passt. Rede von dir und wie es dir geht, bzw. wie du dich fühlst.

Wenn dieses 1-Minute-Mini-Check-In Euch gut gelingt, dann wählt für das nächste Mal eine längere Zeit, z.B. 30 Sekunden länger für jeden. Haltet jedoch die abgemachte Zeit ein. Der Zuhörende schaut darauf.

Durch das Mini-Check-In habt ihr die Chance zu erleben, wie gut es ist, einen gemeinsamen Raum zu haben, wo du sicher nicht unterbrochen wirst.

Wenn ihr als Paar euer Beziehungspotenzial freisetzen und im Laufe der Zeit wirklich vertiefen wollt, dann bedeutet dies, dass nichts mehr unter den Teppich gekehrt wird. Nichts muss mehr unterdrückt oder versteckt werden. Alles erhält einen Platz.

Dies bildet den Grundstein für eine langfristige Partnerschaft.

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